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Donnerstag, 26. November 2015

Novemberimpuls mit Hermann Hesse




Mit diesem Vers endet das Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse. Abschied nehmen und gesunden? Im  „Totenmonat“ November werden die Abschiede von unseren verstorbenen Angehörigen besonders präsent. Wir besuchen ihre Gräber und verbinden uns mit ihnen.
Im Gedenken wird uns zugleich unsere eigene Endlichkeit bewusst. Auch wir werden uns von dieser Welt eines Tages verabschieden. Eines Tages müssen wir hineingehen in den großen Abschied. Auch wenn wir alle Energie hineinsetzen, ihn durch ein gesundes Leben so weit wie möglich hinauszuschieben: Wir kommen nicht drum herum. Zum Glück können wir uns vorher einüben. Wir haben schon bei der Geburt den ersten Abschied genommen von der Bauchhöhle unserer Mutter. Wir haben uns von der Kindergartenzeit verabschiedet, von der Schule, vielleicht schon vom Berufsleben, von Freundinnen und Freunden, von der ersten großen Liebe. Manchmal fiel der Abschied leicht, oftmals aber auch schwer, vor allem, wenn wir den Abschied gar nicht wollten. Wie kann Hermann Hesse davon sprechen, dass wir gesunden, wenn wir Abschied nehmen?
Stell dir nur einmal vor, du wärest im Bauch deiner Mutter geblieben oder du wärest ein ewiges Kind im Kindergarten? Irgendwann ist es nicht mehr stimmig und deine Weiterentwicklung sagt dir, dass etwas Neues beginnen muss. Im Gedicht „Stufen“ sagt Hermann Hesse: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten. An keinem wie an einer Heimat hängen.“ Es geht um die immer wiederkehrende Gefahr, dass wir festhalten möchten. Wir möchten halten, was wir lieben. Aber indem wir festhalten, hören wir auf zu lieben und halten eben fest. Wir konservieren etwas, das nur im „Frischezustand“ vorhanden ist. Manche Traditionen wirken darum so sinnlos und leer, weil sie eher der Ausdruck von etwas längst Vergangenem sind. Die Liebe zu den Dingen und den Menschen muss frei sein. Sie „geschieht“ immer in der Gegenwart. Du erlebst die Liebe im Augenblick und im Hier und Jetzt, oder wie Hermann Hesse es ausdrückt, im heiteren Durchschreiten unserer Lebensräume.
Abschied nehmen und gesunden? Wenn wir festhalten, werden wir also krank. Das kann sowohl auf der körperlichen also auch auf der geistig- seelischen Ebene geschehen. Denke einfach mal nur an dein Verdauungssystem und deine verbrauchten Zellen. Sie müssen deinen Organismus verlassen, sonst vergiftest du dich. Oder ich denke an ein Ehepaar, das viele Jahrzehnte verheiratet war. Der Eine stirbt und der Andere hat manchmal das Gefühl, mit gestorben zu sein. Die Welt bleibt stehen und der Übriggebliebene wartet, bis auch er gehen darf. Es sei denn, er kann auch innerlich loslassen und so einen Neubeginn wagen.
Abschied nehmen ist leichter gesagt als getan. Wenn wir an den großen Abschied denken, den Tod, so wissen wir ja, dass es kein Zurück gibt. Die kleinen Abschiede mögen wir ja noch gut bewältigen, aber…
Ich glaube, da gibt es einen Denkfehler. Wir konstruieren da in unserem Kopf einen Gegensatz, den es so gar nicht gibt. Hier das Leben – da der Tod. Entweder lebst du oder du bist tot. Weichen wir doch einmal die Grenzen auf! Lebst du wirklich? Ja, dein Körper scheint zu funktionieren, zwar mit der einen oder anderen Einschränkung oder Blessur, aber immerhin. Aber, lebst du wirklich? Es ist wie mit der Liebe. Lieben kannst du nur, indem du liebst. Leben kannst du nur, indem du lebst. Wenn du sagst: „Erst im Urlaub lebe ich so richtig auf.“ Dann lebst du nicht, dann bist du so etwas wie „zwischentot“, wenn es das gibt. Jetzt, wo du diese Zeilen liest, wird dir bewusst, dass du freust oder dich ärgerst. Wenn du dich nicht mehr spürst und die Gegenwart verlässt dann wirkt das wie ein „Mini-Tod“ mit dem Festhalten am Vergangenen, mit deiner fehlenden Flexibilität, mit deinen starren Gewohnheiten.
Noch ein Gedanke für die Auflösung der Grenzen von Tod und Leben. Als du im Mutterleib warst, dachtest du vielleicht bei der Geburt: „Hilfe, ich sterbe!“ Du hattest wahrscheinlich keine Geburtsfreuden, sondern eher Todesangst. Aber, du lebst! Jetzt denkst du, aber wenn ich gestorben bin, bin ich wirklich tot. Da sagt Jesus im Lukasevangelium (Lk 20,38) „Er ist doch kein Gott von Toten, sondern von Lebenden; denn für ihn sind alle lebendig.“ Für Gott sind alle lebendig! Deine verstorbenen Eltern, deine Familie, die Freunde, alle Menschen aller Religionen und du selbst. Für Gott sind alle lebendig, meint Jesus. Wir verwechseln das körperliche Ende mit dem Tod. Ja, der  Körper ist begrenzt, aber du selbst mit deinem innersten Wesenskern wirst nicht sterben, du lebst. Aber ob du wirklich lebst und das Empfinden von Leben hast, entscheidest du einfach selber, indem du dich weiterentwickelst. Im Grunde ist es egal, ob du jetzt in diesem vorübergehenden Körper zuhause bist, oder nach diesem Leben in einen anderen Seinszustand übergehst, du kannst immer tot und/oder lebendig sein.
Noch einmal Hermann Hesse im Gedicht „Stufen“: „Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde uns neuen Räumen jung entgegen senden. Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden… Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!“ In diesen Versen verbergen sich noch ein paar gute Hinweise für das Leben.
  1. Die Todesstunde macht uns jünger und nicht älter. Die neuen Räume werden uns erfrischen und beleben wie das Erlebnis der großen Welt damals nach unserer Geburt. Der Tod ist nicht Tod, sondern die Öffnung der neuen Räume.
  2. Die Tür zu den neuen Räumen liegt nicht in der Region des Verstandes, sondern im Herzen.
  3. Da gibt es „des Lebens Ruf“. Von außen sagt die Stimme: „Mach dich auf!“ Ich glaube, dass Gott uns ruft. Werde aufmerksam für seine Stimme.  
www.matthias-koenning.de 

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